Deutschlands erster Solarweg – Die Straße der sonnigen Zukunft
Er spendet Strom, schluckt Lärm und bringt Eis zum Schmelzen: In der Nähe von Köln eröffnet der erste Solarweg des Landes. Das sündhafte teure Projekt erzählt von Visionen.
Von Florian Gontek
Müller-Judex, 56, Ingenieur und Maschinenbauer, der lange Journalist war und drei Firmen gründete, ist ein Visionär. In den vergangenen vier Jahren hat er sich einen Traum verwirklicht: Er hat den ersten Solarweg Deutschlands konstruiert. Einen, der Geld verdient – auch wenn es erst einmal nur 90 Meter Radweg sind. In den Niederlanden gibt es seit 2014 einen.
Etwa 16.000 Kilowattstunden speist der neue Weg in Deutschland pro Jahr ins örtliche Stromnetz ein. Das ist in etwa so viel, wie vier vierköpfige Familien in einem Jahr verbrauchen. Der 200 Quadratmeter große Fliesenteppich absorbiert außerdem Lärm und braucht keinen Winterdienst: Die Solarzellen können Widerstandswärme erzeugen, wenn sie selbst mit Strom versorgt werden. Glatteis kann so verhindert werden. Das kostet Geld, was aber zurückgezahlt wird, sobald die Sonne scheint.
In den Solarteppich eingebaute Sensoren könnten bei größeren Straßen einmal Verkehrsströme messen und damit helfen, Ampelschaltungen zu optimieren oder autonome Fahrzeuge vor Eisglätte zu warnen. Anders als bei vorhandenen Solarstraßen – eine der ersten wurde 2016 in Frankreich eröffnet – klebt man den Teppich aus Solarmodulen einfach auf die vorhandenen Flächen und muss diese nicht auffräsen.
Struktur wie bei einem Gebirge im Miniaturformat
Dass er einmal den ersten Solarweg des Landes bauen würde, hätte Müller-Judex vor etwa zehn Jahren auf einer sonnigen Landstraße Im Allgäu nicht zu denken gewagt. Damals war er auf der Suche nach freien Dachflächen für Solarmodule. Es gab keine mehr, obwohl die Solartechnik – anders als heute – wenig ausgereift war. “Ich bin drei Tage über breite, einsame und sonnenbeschienene Straßen gefahren. Großartige, potenzielle Solarflächen, die ungenutzt blieben – und ich dachte mir: warum eigentlich?”
Müller-Judex tüftelte, gründete 2014 seine Berliner Firma Solmove – und investierte viel Geld. “So ziemlich alles, was ich damals hatte”, sagt er. Heute beschäftigt er zwei Mitarbeiter. Damals hatte er auch Freunde und Verwandte um finanzielle Hilfe bitten müssen – und begann etwas zu entwickeln, das es bis dahin nicht gab. Einen “multifunktionalen Solarteppich”, wie Müller-Judex es nennt.
Im Forschungsverbund mit zwei Fraunhofer-Instituten, der RWTH Aachen, der Universität Bayreuth und dem Forschungszentrum Jülich galt es, drei unterschiedliche Welten zu vereinen: die von Lichtdurchlässigkeit, Belastbarkeit und Rutschfestigkeit. Müller-Judex sagt: “Wir haben entwickelt, gemessen, probiert und heute ein Ergebnis, mit dem wir fürs Erste sehr zufrieden sind.”
Donald Müller-Judex, CEO von Solmove
Die Noppenstruktur des Bodens vergleicht Müller-Judex mit der eines Gebirges. “In den Tälern sammelt sich der Dreck, dort fließt auch das Wasser, das den Schmutz wieder mitnimmt. So versuchen wir, den Verlust durch verdreckte Module möglichst gering zu halten.” Die Bergkuppen halten den Reifen. Sie sind mit Korund besetzt, ein abriebfestes und hartes Mineral. Das Tal hat eine andere Funktion: “Es absorbiert den Schall und verhindert durch seine Tiefenstrukturen Aquaplaning.”
Das Glas stammt aus einer Fabrik in Brandenburg. Bei den Tests im Labor hielt es der Belastung von eineinhalb LKW stand. Nun muss es beständig genug sein, um extremen Umwelteinflüssen zu trotzen. Ein weiteres Problem des Solarweges war die hohe elektrische Spannung. Um der deutschen Straßenbaunorm zu entsprechen, musste eine spezielle Konvertertechnologie her. Nun fließen nur noch 30 Volt durch die Module, sie sind ungefährlich für Mensch und Tier.
Erftstadt als Gegenentwurf zum Hambacher Forst
Nach der Test- und Tüftelphase beginnt nun die Praxis. Am Montag kommt Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zur Eröffnung des Solarweges nach Erftstadt, 20 Kilometer südwestlich von Köln. Die 50.000-Einwohner-Stadt hatte sich mit einem aufwendigen Radwegkonzept beim Bund beworben und Förderung für die Solarfliesen erhalten. Der Hambacher Forst, um den sich der Energiekonzern RWE und Braunkohlegegner zuletzt energisch stritten, liegt nur etwas mehr als eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt. Das macht Erftstadt auch zu einem politischen Ort. Er zeige die beiden Enden dessen, was möglich sei, sagte Müller-Judex. Das Gestern und das Morgen.
Dass das Morgen extrem teuer ist, gibt der Entwickler zu. Die Projektkosten sind hoch. Genaue Zahlen möchte der Unternehmer nicht nennen. Er sagt aber: “Wir streben einen Preis von 250 Euro pro Quadratmeter an – derzeit liegen wir aber noch deutlich höher.”
Politisch sieht Müller-Judex für seine Idee in Deutschland eher Gegen- als Rückenwind. Er glaubt jedoch an das Potenzial der Technologie, das er mithilfe von Investoren realisieren will: “Das Straßennetz in Deutschland, ohne die Autobahnen, würde reichen, um 20 Millionen Elektroautos zu versorgen”, sagt er. Solarstraßen- und Parkplätze böten die Möglichkeit, dass sich Elektroautos auch automatisch aufladen lassen – per Induktion, wie bei einer elektrischen Zahnbürste.
Die Technologie existiert bereits: etwa in China. Dort will Müller-Judex nun hin, um eine Straße für elektrische Shuttle-Busse mitzurealisieren. Auch Projekte in Los Angeles und im Silicon Valley sind geplant.
Als nächste Projekte in Deutschland will der Solarpionier eine Testanlage für den Energieversorger RheinEnergie in Köln und einem Parkplatz aus Solarteppich in Recklinghausen in Kürze realisieren, über den auch Autos rollen sollen.
Doch Müller-Judex denkt größer. “Ich will noch viel weitergehen, am liebsten um die ganze Welt.”