Der Weg in die Zukunft

In der Nähe von Köln wird die erste Solar-Straße Deutschlands eröffnet. Sie kann Strom spenden, Lärm schlucken und im Winter das Eis schmelzen. Noch ist die Produktion teuer – doch irgendwann lässt sich mit diesem Untergrund sogar Geld verdienen.
Von Michaela Haas

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Donald Müller-Judex steht in seiner herbstlichen Daunensteppjacke auf einem kleinen Feldweg bei Köln, deutet auf ein paar Büsche hinter sich und sagt voll Vorfreude: »Jetzt wird’s spannend!« Hinter ihm legen gerade drei Fliesenleger aus einem örtlichen Handwerker-Betrieb die originellsten Fliesen, die sie je gelegt haben: dunkelblaue Solarmodule, jedes einzelne so groß wie ein Bierdeckel. Zusammen wird der Fliesenteppich die erste Solarstraße Deutschlands bilden. »Es kommt schon Strom raus«, stellt Müller-Judex, 56, stolz fest. Jeder Quadratmeter liefert 80 Kilowattstunden pro Jahr, bei den 200 Quadratmetern Radweg also insgesamt 16000 Kilowattstunden, die in das örtliche Stromnetz eingespeist werden.

Bisher sind es nur 90 Meter Radweg, aber es soll ein Weg in die Zukunft werden: Die erste Solarstraße Deutschlands kann Strom spenden, Lärm schlucken, sich später nachts beleuchten, im Winter das Eis wegheizen und sogar mitdenken. Die Oberfläche ist aus Monokristallinen, eingebaute Sensoren könnten bei größeren Straßen einmal Verkehrsströme messen und damit zum Beispiel Ampelschaltungen optimieren. Für das Ziel 100 Prozent erneuerbare Energien reichten die Dachflächen einfach nicht aus, sagt Müller-Judex, also müsse man die vorhandenen Asphaltflächen nachhaltig nutzen. Einen Seitenhieb auf die Energieriesen kann er sich nicht verkneifen. »Wir liegen hier vielleicht 80 Kilometer vom Hambacher Forst entfernt. Das muss mal jemand RWE erzählen, die glauben nämlich immer noch, sie müssten Wälder abholzen, um Strom zu erzeugen. Es geht auch anders.«

Im Forschungsverbund mit zwei Fraunhofer Instituten, der RWTH Aachen, der Universität Bayreuth und dem Forschungszentrum Jülich entwickelten Müller-Judex und seine kleine Firma Solmove einen »mulitfunktionalen Solarteppich«, dessen Fliesen sich einklicken und verbinden. »Wir mussten einen Spagat hinkriegen, denn die Straße muss belastbar und rutschfest sein.« Das Noppenprofil vergleicht Müller-Judex mit einem Mikrogebirge: »In den Tälern sammelt sich der Schmutz, da fließt auch das Wasser, das den Schmutz wieder mitnimmt«, erklärt er. »Auf den Bergkuppen wird der Autoreifen gehalten. Diese Kuppen sind mit Korund besetzt, einem besonders riebfesten Gestein, das in der Härteskala direkt hinter dem Diamanten liegt.« Eine  Spezialglas-Manufaktur im Bayerischen Wald fertigt die Gläser. Im Labor halten die Glasfliesen das Gewicht von eineinhalb Lastern aus, nun beginnt der Praxistest.

Am 12. November wird der Radweg mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze offiziell eröffnet. Warum ausgerechnet in Erftstadt? Weil die Erftstädter insgesamt ein überzeugendes Radweg-Konzept vorgelegt haben und damit auch Bundesförderung für die Solarfliesen gewannen. Wenn es um den finanziellen Aufwand geht, druckst Müller-Judex wegen der hohen Entwicklungskosten etwas um die harten Zahlen herum: »Der erste Mikrochip hat schließlich auch 10 Millionen Dollar gekostet. Wenn man damals gesagt hätte, das ist zu teuer für PCs, hätten wir heute alle keine Computer.« Wenn die Sonnenstraße wie prognostiziert 20 bis 25 Jahre hält, würden die Erftstädter in den letzten zehn Jahren durch den erzeugten Strom sogar Geld verdienen. »Eine normale Straße kostet Geld, eine Solarstraße verdient Geld«, verspricht Müller-Judex. Jedenfalls habe er, auch mit eigenem Kapital und der Hilfe eines chinesischen Investors, dafür gesorgt, »dass für die Erftstädter eine schwarze Null rauskommt«.
In den Wochen zuvor haben Bauarbeiter Schächte gebaut und 150 Module verlegt. Solmove hat eine Schaltung eingebaut, damit die Solarzellen im Winter erwärmt werden können. »Ergibt das ökologisch Sinn im Winter, Flächen zu beheizen?«, hat sich Müller-Judex gefragt, und durchgerechnet: »Es ist deutlich günstiger als ein Winterdienst.«

 

»Das Straßennetz in Deutschland, ohne die Autobahnen, würde reichen, um 20 Millionen Elektroautos zu versorgen«

                                                                                          Donald Müller-Judex

 

Auf die Idee kam Müller-Judex, als er vor knapp zehn Jahren im Allgäu Flächen für Photovoltaikanlagen suchte. Alle geeigneten Dächer waren schon belegt. »Warum nutzen wir nicht die Straße, die liegt doch in der Sonne?«, dachte sich der gelernte Maschinenbauer und Ingenieur und begann, an Solarfliesen zu tüfteln. Er sieht in Deutschland 1,4 Milliarden Quadratmeter Potenzial: »Das Straßennetz in Deutschland, ohne die Autobahnen, würde reichen, um 20 Millionen Elektroautos zu versorgen.« Straßen und Parkplätze haben den Vorteil, dass sich Elektroautos damit automatisch aufladen lassen, per Induktion ohne Steckdose. Sie saugen den Strom quasi aus den Photovoltaikzellen. Das Verfahren funktioniert bereits, allerdings noch nicht besonders gut.

Eigentlich ist Müller-Judex nicht nur Ingenieur und Autodidakt, sondern auch Journalist, hat zuletzt für Stern TV gearbeitet, aber dann wollte er »was Seriöses« machen. Seine erste Startup-Idee, ein Bezahlsystem für Handys, kam 13 Jahre zu früh. Aus dem bayerischen Inning am See, wo er noch wohnte, als er Solmove 2014 gründete, ist er inzwischen weggezogen, weil – das wird der Bavaria-One-Visionär Markus Söder nicht gern hören – »Bayern bei technischen Innovationen immer ein bisschen träge und schlapp ist, aber in Berlin tut sich was«.

Er träumt davon, eine Straße für elektrische Shuttle-Busse in China zur nächsten Olympiade und einen Teil der Weltausstellung in Dubai zu befliesen, hat gerade eine Potenzialanalyse mit der Deutschen Bahn abgeschlossen (»33 000 Kilometer Bahnstrecke!«, schwärmt er), baut eine Testanlage in Köln für Rheinenergie und einen Parkplatz für eine westfälische Firma, einen Radweg für eine Softwarefirma im Silicon Valley, eine Testanlage bei Los Angeles und verhandelt mit den Parkwächtern von New York. Ab nächstem Jahr sollen auch normale Häuslebauer und Firmen Fliesen für ihre Parkplätze bestellen können. »Wir werden von Anfragen überrollt«, sagt Müller-Judex – dabei besteht seine Firma aus nur zwei Mitarbeiten.

Es gibt auch internationale Konkurrenz mit ähnlichen Ideen in China, Amerika, Frankreich und Holland. Frankreich und Holland haben bereits kleine Teststraßen. Deren Systeme haben allerdings alle den Nachteil, dass dafür bestehende Straßen aufgefräst werden müssen. Die Fliesen von Solmove dagegen kann man auf die vorhandenen Wege aufkleben, weil der flexible Fliesenteppich kleine Unebenheiten im Boden ausgleicht.

Ob das alles so funktioniert, wie es der Visionär hofft, ob also die Solarmodule trotz Herbstlaub und Novemberschlamm Strom liefern, ob die Querrillen wirklich den Schmutz abfließen lassen, ob die Straße tatsächlich rutschfest und so belastbar ist wie im Labor, das wird sich erst in den nächsten Monaten und Jahren zeigen. »Das erste Flugzeug war aus Holz und Stoff«, vergleicht Müller-Judex den Forschungsstand. »Wenn man sich den Anteil von Holz und Stoff in einem modernen Flugzeug ansieht, weiß man, wieviel Entwicklung da stattgefunden hat. So ähnlich wird es hier auch sein. Wir stehen ganz am Anfang.«

Müller-Judex ist jedenfalls überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Buchstäblich. »Jemand, der sich mit dem Klima auseinandersetzt, weiß, dass wir gerade mächtig aus der Kurve fliegen«, sagt er und redet sich in Rage bei dem Gedanken, »wie viele Millionen wir jedes Jahr nach Saudi-Arabien überweisen, um Öl einzukaufen. Unsere Enkel werden uns das mal ganz fett aufs Brot schmieren. Da müssen wir sagen: Wir haben’s gewusst, aber nichts gemacht.«

Den Vorwurf kann ihm garantiert keiner machen.

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